Meine „Briefe gegen Gewalt“ seien einseitig, kritisierte mich vor etlichen Wochen, als noch Wahlkampf war, eine Journalistin, die Anfang der 1990er Jahre im Audimax der Salzburger Universität meine Studentin war. Wie sie das meine, fragte ich zurück, und sie antwortete, ihr falle auf, dass ich vor allem meine eigene Partei kritisiere, nicht aber die anderen. Ich klärte sie daraufhin auf, dass mein Ziel bei diesen „Briefen“ nicht personbezogene Parteikritik sei, sondern inhaltbezogene Gewaltkritik.

Die Unterstellung, ich wäre „parteilich“, hat mich negativ überrascht – gerade von jemand, die mein Denken eigentlich kennen sollte. Mir ist gleichgültig („gleich gültig“), von wem eine Äußerung oder Handlung stammt – mir geht es um die Art und Weise, wie sich jemand äußert (was ja auch eine Handlung ist: es „feuern“ Handlungsnervenzellen nachdem vorher andere Neuronen aktiviert waren) – gewaltverzichtend oder, wie schon Sigmund Freud in seiner Abhandlung über den Witz formulierte: tendenziös. Z. B. mit der Tendenz, andere zu „etikettieren“ bzw. in eine „Schublade zu stecken“, zu diskriminieren, verspotten, verhasst zu machen und letztlich zum (sozialen) „Abschuss“ frei zu geben.

Viele Menschen sind Gewalt so gewohnt, dass sie ihnen nicht mehr auffällt. Das will ich ändern.

Gewalt nicht zu sehen – sehen zu wollen – hat auch mit Selbstschutz zu tun: Viele Menschen wollen sich vor Mitgefühl und Betroffenheit abschotten, weil sie sich sonst als „schwach“ empfinden würden. Der innerseelische Mechanismus lautet versprachlicht: „Eigentlich müsste ich verteidigend an die Seite der angegriffenen Person/en treten – ich müsste eigentlich kämpfen – ich habe Angst, dass mir das Schaden zufügen würde – ich halte meinen Kampfimpuls zurück – ich brauche eine Erklärung dafür, damit ich meine Selbstachtung nicht verliere – ich suche die Schuld für den Angriff bei der / den angegriffenen Person/en – ich reihe mich in den Kreis der Angreifer ein und bestätige diese (oder verharmlose das Geschehen oder erkläre es als „eh nur Spaß“). In der Psychoanalyse heißt diese „Abwehrform“ die „Identifikation mit dem Aggressor“, und die weitere, voll Ernst zu erklären, weshalb man dies tun müsse, heißt „Rationalisierung“ (ausführlich nachzulesen bei Anna Freud, „Das Ich und die Abwehrmechanismen“, konzentriert zusammengefasst bei Peter Orban, „Menschwerdung. Über den Prozess der Sozialisation“).

Mir ist wichtig, mit beiden Augen zu sehen und nicht auf dem „Gewaltauge blind zu sein“. Friedrich Nietzsche formulierte, man möge sich „empor pflanzen, nicht nur fort“ (in „Also sprach Zarathustra“). Sich beständig zu mehr Menschlichkeit weiter zu entwickeln, bedeutet auch, auf Gewalt zu verzichten — außer bei Notwehr und Nothilfe.