Interview für NÖN 51 (19.12.2018)
(stark gekürzt nur in der NÖN Mistelbach erschienen)
NÖN: Dass ein 54-jähriger seine sehr alten Eltern ermordet mutet doch seltsam an, immerhin war der Vater 92, die Stiefmutter 87 jahre alt. Ist das nicht außergewöhnlich?
Rotraud A. Perner: Bei jedem Mord findet man einen Kipp-Punkt – entweder schon länger vorher (lange aufgestaute Frustwut oder Verzweiflung) oder akut bei massiven Attacken auf das Selbstwertgefühl (das kann jedem passieren! Bei manchen dauert es halt sehr lange und bei anderen gar nicht).
NÖN: Der Vater dürfte ein Tyrann gewesen sein, heißt es jetzt. Der Täter ein Mann, der vieles in sich hineingefressen hat (Anmerkung: Ein Freund von mir kannte ihn seit über 30 Jahren persönlich, daher weiß ich das) – haben wir hier den „Klassiker“, dass sich der Unterdrückte nach Jahren vom Unterdrücker befreit? Oder sind da noch andere Faktoren im Spiel?
Rotraud A. Perner: Was man immer auch berücksichtigen muss, ist die Generationendifferenz: Die ca. 100jährigen sind noch auf starre Eltern-Kind-Hierarchie erzogen worden (und die derzeit rund 50jährigen hingegen vielfach auf Selbstbestimmung) und „brave“ Kinder (egal wie alt!) haben gehorcht – bis es eben nicht mehr erträglich ist.
„Hineingefressen“ würde ich nicht sagen, weil Elternrespekt (s. 4. Gebot! Ich interpretiere dieses allerdings anders!) für „brave“ = gehorsame Kinder dieser Generation „normal“ ist.
Tyrannei ist für die „alte Generation“ selbstverständliches „Führen“ einer Familie … und erst recht eines „Clans“.
(Übrigens ein ganz häufiges Anliegen in Beratung/Therapie – der übermäßige Alles-Bestimme-Ich!-Anspruch alter Eltern, die ja auch um ihre Selbstachtung ringen, wenn sie merken, wie sie abbauen …)
NÖN: Der Mord hat im Adelsmilieu stattgefunden, das ja zumindest äußerlich immer um Contenance bemüht ist. Man reißt sich zusammen, benimmt sich stets kontrolliert: Ist es möglich, dass die Taten bei anderer Erziehung schon früher stattgefunden haben könnten?
Rotraud A. Perner: „Sich-Zusammen-Nehmen“ ist ein Erziehungsstil, der sich nicht nur im Adel findet (dort gab und gibt es immer „schwarze Schafe“, die ihrer Gesundheit den vorrang geben und nicht dem äußeren Schein im Doppelsinn des wortes …)
NÖN: Der Bruder: Mit ihm soll es ein gutes Verhältnis gegeben haben. Warum bringt er ihn dann auch um? Aus Scham? Wegen Schuldgefühlen? Oder im Zustand totaler Rage?
Rotraud A. Perner: Wenn die „innere Zensur“ zusammenbricht, wird nicht mehr „gedacht“ sondern nur mehr „agiert“ – da kann man als Zeuge oder Unbeteiligter nur flüchten, wenn das überhaupt geht, weil der Täter oft im „overkill“ blind handelt bzw. „unbewusst“ weiß, dass er alle Zeugen beseitigen muss.
NÖN: Stichwort Rage: Könnten die Taten in diesem Zustand verübt worden sein?
Rotraud A. Perner: Was ich von anderen ähnlichen Fällen kenne: Weder Scham noch Schuldgefühle oder Rage (bei der denkt man noch), sondern „weil es eh schon wurscht ist“ = totale Destruktion. Keiner soll überleben. Man darf ja nicht außer Acht lassen, dass der Täter sehr schwererkrankt war und vermutlich ohne Aussicht auf Heilung.
Ich vermute nach Vergleichsfällen, dass sich der Täter „in der Erregung“ noch selbst erschossen (oder bei nachfolgender Ernüchterung erhängt) hätte, wenn die Polizei nicht so schnell da gewesen wäre.
NÖN: Der Täter sagt jetzt, dass er sich gar nicht erinnern könne, in welcher Reihenfolge er seine Verwandten umgebracht hat. Ist das vorstellbar?
Rotraud A. Perner: Ja. er war sicher „außer sich“. Er hätte „geplant“ ja auch den in seinen Kreisen (vgl. Lütgendorff) so häufigen „Unfall beim Gewehrputzen“ inszenieren können …
NÖN: Die Stiefmutter sei dem Täter „egal“ gewesen, sagt sein Anwalt. Warum bringt er sie dann um?
Rotraud A. Perner: Weil er nicht überlegt gehandelt hat … sie war halt zur falschen Zeit am falschen Ort.
NÖN: Welche Rolle spielt das abgeschiedene Leben der Familie im Zusammenhang mit den Morden?
Rotraud A. Perner: Da sehe ich keinen Zusammenhang – aber wenn der Täter so schwer krank war (was ja auch bedeutet, dass sich seine Lebensperspektive extrem verengt haben muss), so ist zu klären, weswegen er nicht begleitend in (unverzichtbarer!) Therapie war – und wenn er das doch gewesen sein sollte, so kann so etwas im Zuge des Rückgewinns von Wehrhaftigkeit passieren – sollte es aber nicht.
(Deswegen vereinbart man ja bei Vertragsabschluss, dass alles in die Therapie eingebracht und keinerlei Lebensentscheidung getroffen werden soll!)