Es gibt mehrere Arten von Schweigen, das die Gesundheit schädigt. Eines davon ist das „Machtschweigen“: Dabei wird Fragenden durch Kommunikationsverweigerung demonstriert, wie machtlos, aber eigentlich auch wie wenig sie einem (weil meist männlich) wert sind.

Es gibt aber auch ein Machtlosigkeits-Schweigen: Dabei weiß er oder die andere einfach nicht, „wie tun“. Aber statt das zu sagen – denn dann könnte man ihm oder ihr ja hilfreich entgegenkommen, indem man die eigenen Absichten und Motive verdeutlicht – wird eine geheimnisvolle, jedoch gleichzeitig mehrfach bedeutungsvolle Umrahmung gewählt. Tatsächlich gehört das zu den Methoden des „crazy making“: Die eigene Verwirrung der Gedanken und Gefühle wird auf die andere Person „übertragen“, und die verliert damit ihre Intuition (das „Gespür“);  die ist aber ein wesentlicher Teil von Selbstschutz.

Und dann gibt es das „Angstschweigen“. Das kennen fast alle aus ihrer Kindheit: Eltern, Lehrkräfte oder andere „Autoritäten“ pflegen ja oft vorauseilend einen drohenden Ton anzuschlagen, wenn sie etwas in Erfahrung bringen wollen (und spielen damit ihre Eltern etc. nach) um einem – aus eigenem Erinnerungsschatz – von vornherein „Unschickliches“ zu unterstellen. Wenn etwa das Kind „bedrückt“ heimkommt, wird oft gleich gebellt „Was hast Du schon wieder angestellt?“ – auch wenn es noch gar kein „erstes Mal“ gegeben hat – anstatt besorgt (!) zu fragen „Ist Dir etwas passiert!“. (Tiefenpsychologisch entschlüsselt will man damit Sorgen von sich wegdrängen.)

Genau dieses Angstschweigen thematisiert die Psychotherapeutin Anna Kampschroer in ihren beiden kürzlich erschienenen schmalen, kindgerecht geschriebenen Büchern „Emma schafft es!“ und „Erik schafft es!“ (beide Ernst Reinhardt Verlag München) – Untertitel jedes Mal „Schluss mit sexuellem Missbrauch!“. Im Gegensatz zu den zwischenzeitlich mehrfach erschienenen Mut-mach-Büchern für kleine Kinder, sich gegen unerwünschte Küsschen oder Umarmungen zu wehren – was nun aber auch zum Wissensstand potenzieller Missbraucher geworden ist und deren Grooming-Repertoire verfeinert hat – werden hier im Stile des „Story Telling“ die Seelenzustände junger Jugendlicher thematisiert und damit auch die Inszenierungen der leider vielfach verharmlosten Übergriffe aufgezeigt.

Die Seelenqualen, die Jugendliche durchleiden, wenn sie zwischen Verlust von Freundschaften und Zuwendung, Beschuldigungen wegen angeblicher Illoyalität oder gar Verrat, vermuteter unempathischer Reaktionen der Eltern und bekannter Phantasien und Tratschereien der Nächsten, einen Weg zu sich selbst – zu ihrer „inneren Wahrheit“ – gehen müssen, werden allen Betroffenen wohl gut bekannt sein.

Man darf nicht vergessen, dass es fast zu einem Sport geworden ist, „äußere Wahrheiten“ zu „gestalten“ – es gibt sogar darauf spezialisierte Rechtsanwälte (kenne nur männliche). Litigation heißt das mit dem Fachausdruck.

Genau deswegen ist es wichtig, Vertraute zu haben, denen man erzählen kann, was einem so an Gewalt zugefügt wurde (auch wenn es unbeabsichtigt gewesen sein sollte): Damit der „Schweigedeckel“ in der Brust gelüftet wird und heraus kann, was man „auf dem Herzen hat“.

Meine Empfehlung: Diese beiden Bücher sollten in keiner Schülerbibliothek fehlen!