Wenn es gelingt, andere in einen hohen Erregungszustand zu versetzen, kann man damit rechnen, dass diese Person oder auch ganze Menschenmengen verabsäumen, vernünftig zu denken.

Erfahrene Heiratsschwindler tun das – sie malen rosige Zukunftsbilder vor dem geistigen Auge ihrer Zielpersonen. Auch manche Verkäufer werden daraufhin geschult. Und wenn uns allen etwas sehr wichtig ist, tun wir das meist auch, aber unbewusst – wir haben es uns von irgendwem abgeschaut, vermutlich aus einer Filmszene. (Unbewusst formuliere ich deswegen, weil wir, wenn wir etwas sehr wünschen, auch voll ins Gefühl rutschen und damit die individuell vorhandene Menge an Vernunft schrumpft.)

Umgekehrt meinen noch immer viele Menschen, wenn sie Emotionen der Unsicherheit und Angst auslösen, Wohlverhalten hervorzurufen.  Das funktioniert aber heute nur mehr einer Menschenmenge unwissender, kleinmütiger Menschen (Kindern und Frauen, die wie Kinder eingeschüchtert werden) gegenüber – oder in militärischen Systemen (und dazu zählen auch manche Glaubensgemeinschaften).

Gegenwärtig erleben wir ein vielfach praktiziertes Muster, behauptete Missstände medial anzuprangern und sich damit als quasi Robin Hood zu inszenieren – als den sich ein zwischenzeitlich verstorbener Politiker sogar gerne verkleidete: Damit wird auf die Identifizierungsbereitschaft der Massen gezielt, nämlich all derjenigen, die in Familie, Nachbarschaft oder Beruf Missachtung, Ausbeutung und andere Formen von Gewalt erlebt haben – und das sind fast alle. Sie glauben, auf diese Weise Probleme lösen zu können und merken nicht, dass sie selbst Teil des Problems sind.

Dass es für Menschen und vor allem Kinder und Jugendliche, die auf Grund welcher Ereignisse auch immer aus der Gemeinschaft der „Gleichen“ herausgefallen sind, herausgenommen und „verlagert“ wurden, Trauma – Verletzung der leibseelischen Integrität und oft lebenslange Zerstörung der Selbstachtung – bedeutet, wird von all denen abgestritten, die ihre eigenen gleichartigen Wunden oder Narben nicht wahrnehmen wollen. In manchen Berufen wird man auf diese Fühllosigkeit trainiert: Deswegen wird Juristen, Polizisten und ähnlichen Berufsangehörigen der Zugang zum Beruf des Psychotherapeuten verwehrt (außer sie haben sich in anderen „mitfühlenderen“ Berufen bewährt), nicht hingegen zu den kopflastigen „Psycho“-Hochschulstudien (als „wissenschaftliche Berufsvorbereitung“). Aber auch diejenigen Politiker sind zu kritisieren, die mit Sätzen wie „Das Parlament ist kein Mädchenpensionat“ Härte im mitmenschlichen Umgang verteidigen und das als Stärke verkaufen (wollen).

Für Menschen, die schon einmal gegen ihren Willen derart entwurzelt wurden, ist jede neuerliche „Entfernung“ retraumatisierend und eine schwere Gesundheitsschädigung. Sie behutsam bei solchen Notwendigkeiten – falls sie überhaupt Not wendend sind, es gibt immer Alternativen! – zu begleiten, braucht eine spezialisierte Ausbildung (mehr dazu auf www.salutogenese.or.at ); ich weiß aus vielen Supervisionen von Landessozialarbeiter*innen verschiedenster Bundesländer, wie wenig Verständnis diese erhalten, wenn sie versuchen korrekt und gleichzeitig heilsam zu handeln, wenn juristische, psychologische oder politische Vorgesetzte einen „Akt“ schnell erledigt haben wollen. So sagte einmal ein Sozialarbeiter über seinen übergeordneten Amtsvormund, einen Juristen: „Er glaubt, Menschen sind Aktenordner, die man ins Regal stellen kann.“ (Gottlob gibt es aber immer wieder Fachleute, die sich im Laufe der Zeit zum Mitgefühl zu bekennen wagen!)

In einer auf Werbung und damit auch Massenkommunikation aufgebauten Gesellschaft werden Ansichten (und das sind immer nur vorübergehende individuelle Sichtweisen, denn glücklicherweise ist in einer Demokratie Kritik erlaubt und wir Wissenschafter*innen arbeiten am dazu nötigen Wissenszuwachs) an die Medien „verkauft“ – oft gleich samt den dazu passenden Experten. Wer nicht mitspielt – oder einfach mehr Nachdenk- und Nachfühlzeit einfordert, wird aus diesem „Warenhaus“ verbannt. Aber dagegen gibt es ja wiederum das Internet …