Heute steht in Wr. Neustadt ein 35jähriger Lehrer wegen einer zwei Jahre dauernden sexuellen Beziehung mit einer zu Beginn 13jährigen Schülerin vor Gericht, lese ich soeben in orf.online. Man habe bei ihm sogar Nacktfotos und Videos gefunden, die das bewiesen.

Egal, wie sich der Mann vor Gericht verantworten und wie dieses entscheiden wird – es gilt ja bis zu einem Urteil noch die Unschuldsvermutung – handelt es sich hier um ein grundsätzliches Problem: Angehörige von Elternersatzberufen wie beispielsweise alle, die in Unterricht, Beratung (dazu zählt auch Anwalts- oder Bewährungshilfe, Seelsorge oder Betreuung hilfsbedürftiger Personen ganz allgemein), Therapie (egal mit welchen Methoden) stehen in einer seelischen Austauschbeziehung, die frühkindliche Nähe- und Verschmelzungswünsche  aufleben lässt.

In der Psychoanalyse nennen wir das „Übertragung“ – und wer in diese Richtung ausgebildet wurde sollte wissen, dass Gefahr besteht, auf diese Form von „Zutraulichkeit“ oder „Schwärmerei“ mit sogenannter „Gegenübertragung“ zu reagieren und zu wähnen, man wäre als Person gemeint und geliebt. Tatsächlich aber wird das Beziehungsverhalten der frühen Kindheit wiederholt – und das reicht von vermeintlicher Koketterie – Achtung! Das sind ja Interpretationen und Zuschreibungen von Erwachsenen, vor allem dann, wenn sie der sexuellen Ausbeutung geziehen werden – bis zu ersehntem Triumph in der Konkurrenz mit Gleichaltrigen bis zu widerstandsmangelnder Unterwerfung. (Und das spielt sich nicht nur zwischen Mädchen und erwachsenen Männern ab, sondern auch umgekehrt und auch gleichgeschlechtlich.)

In einer Psychotherapie sollten korrekte PsychotherapeutInnen diese Formen der Annäherung als unbewussten Selbstausdruck erkennen und für ihre Diagnose und „Behandlung“ nutzbar machen – beispielsweise indem sie Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks und damit der Selbsterkenntnis und Realitätssicht ermöglichen: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8, 32 – auch  der Titel eines meiner Bücher zur sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen).

Wahre Liebe – also nicht Verliebtheit, Begehren, Gefühlsüberflutung, Genussstreben oder unhinterfragter sexueller Freiheitsdrang – hingegen entschleunigt den sich anbahnenden „Triebdurchbruch“ und wartet die Großjährigkeit und damit gesetzlich zugesprochene sexuelle Selbstverantwortlichkeit ab. (Ob diese auch psychosozial besteht, ist dabei eine andere Frage.)

Es ist vordringlichste Aufgabe in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Angehörigen von Sozialberufen, theoretische wie praktische Information zum Umgang mit dieser Psychodynamik zu vermitteln. Dazu gehört die Kompetenz mit aufkeimenden erotischen Gefühlen selbststeuernd umgehen zu können genauso wie der Mut, sich in Supervision zu begeben, um eigene Beglückungsphantasien bzw. Bedürftigkeiten auszuloten.

Nur gesetzliche Verbote (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses § 212 StGB) oder moralische Ermahnungen helfen nicht, Belästigungen, Übergriffe oder auch eine „folie à deux“ („Eselei zu zweit“) zu verhindern – man braucht mutige Selbsterforschung aber auch selbststärkende Autosuggestivmethoden, um Herr und nicht Sklave seiner sexuellen Potenz zu sein.