Da schreibt Niki Glattauer – trotz achtenswerterweise Schriftstellerkarriere noch immer Lehrer und damit a priori Vorbild – im heutigen Sonntagskurier, wenn ein halbwüchsiger (Altersangabe fehlt, könnte aber ohnedies wie so oft herabgemindert angegeben worden sein) Syrer Frauen ans Geschlecht greife, hätte das nichts mit sexueller Gewalt zu tun. Und dann berichtet er von einem selbst erlebten Über-Griff aus seiner Jugendzeit, und dass seine Mutter sagte, nichts Ärgeres sollte ihm passieren im Leben. Beides ist Verharmlosung.

Bei allem Verständnis, dass termingebundene Zeitungs-Kolumnisten oft dankbar nach irgendeinem Thema greifen, zu dem sich moralisieren lässt, sollten sie sich vielleicht doch ein bisschen fachlich weiterbilden: Gewalt ist nach der Definition des norwegischen Trägers des Alternativen Nobelpreis Johan Galtung ein feindselig erlebter Akt, der das Potenzial der adressierten Person(en) schädigt. Das bedeutet Anerkennung des subjektiven Erlebens, denn Experte für die jeweilige Befindlichkeit ist die Person, die sie hat. Dass Täter und alle, die mit ihnen sympathisieren, versuchen, „objektiv“ die psychischen Schäden und Folgeschäden unter Berufung auf die Nicht-Sichtbarkeit abzuwiegeln, ist zwar üblich und gibt damit leider alltägliches Vorbild.

Unerwünschte Berührungen – besonders im Intimbereich und der ist wesentlich größer als nur der Genitalbereich, denn er umfasst auch die erogenen Zonen – lösen Stresshormonausschüttungen aus: Die einen reagieren dann mit Erstarrung („Freezing“) und die anderen mit Empörung (das sind die psychisch Gesünderen). Beides kann ein Mikrotraunma bewirken – aber auch ein Makrotrauma. Solche Erlebnisse findet man oft in der psychosozialen Arbeit mit Menschen, egal wie jung oder alt sie sind, die nicht (mehr) ins Schwimmbad gehen oder auch Sport betreiben wollen. Sie werden oft als feig beschimpft, in Wirklichkeit sind sie traumatisiert. Und vielfach werden sie durch das Nicht-ernst-Nehmen und Verspotten durch Lehrkräfte neuerlich traumatisiert.

Herr Glattauer bezeichnet diese in unserem Strafgesetzbuch inkriminierten Übergriffe als „prä- oder postpubertäre Testosteronbewältigung“. Er weiß offenbar nicht, dass soziologische Forschungen ergeben haben, dass pädophile Männer zugegeben haben, durch „zufällige Berührungen“ im Schritt Jugendlicher abzutesten, ob diese sich wehren (können) oder nicht. Diese Taktik gibt es in vielerlei Variationen – und manchmal sind sie der Beginn einer massiven Psychopathie: Frotteure, die sich absichtlich z. B. in Verkehrsmitteln an Mitreisenden reiben, Kleiderschlitzer wie der „Opernmörder“ Josef Weinwurm, Haarabschneider oder Wäschediebe … sie alle bräuchten ebenso frühzeitigst Psychotherapie, um eine gewaltverzichtende Form von Testosteronbewältigung zu lernen, wie auch Tierquäler oder Brandstifter. Verharmlosung löst das Problem nicht.