Dass der Chefredakteur der republikseigenen Wiener Zeitung fristlos gekündigt wurde, weil die Geschäftsführung nach Vorlage schriftlicher Mitteilungen an eine Mitarbeiterin einwandfrei sexuelle Belästigung feststellte, finden manche übertrieben hart — dadurch würde ja nun die Existenz des 57jährigen zerstört.

Ich sehe das nicht so – denn die Zerstörung hat er ja selbst betrieben: Er hat sich als Führungskraft total disqualifiziert.

Die österreichischen Arbeitnehmerschutzbestimmungen sehen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers vor – seit der Novelle 2013 auch für die psychische Unversehrtheit. Das bedeutet, dass es auch zu den Obsorgepflichten des Arbeitgebers zählt, die Mitarbeiterschaft vor Demütigungen, Diskriminierungen, Erpressungen, Mobbing etc. zu schützen.

All das bedeutet nämlich Stress, oft sogar langandauernden Hochstress (z. B. Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Angststörungen, Intrusionen, Zwangsgedanken) und damit massive Gesundheitsschädigung. Ich habe zahlreiche Frauen – und gelegentlich auch Männer! – betreut, die zwar wussten, dass sie sich wehren sollten aber unsicher waren, auf welche Weise. Die Angst hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder Repressalien ausgesetzt zu werden – nicht nur vom belästigenden Vorgesetzten, sondern auch von Kolleginnen, denen es ähnlich ergangen war und die dazu geschwiegen hatten und nun, konkreter Bericht aus einem Klinikum, der aufzeigenden Kollegin „Nestbeschmutzung“ vorwarfen.

Ich habe aber auch für fortschrittliche Unternehmen (z. B. die Wiener Verkehrsbetriebe) Ein-Tages-Intensiv-Seminare abgehalten, in denen die Männer am Vormittag das Thema noch anzweifelten bzw. verblödelten, am Nachmittag aber von eigenen Erlebnissen berichteten – z. B. von wohltrainierten Kollegen, die nackt aus der Dusche kommend vor den pausierenden Bekleideten posierten, mit der unausgesprochenen Botschaft „Schaut mal, ihr Dickwänste, was für ein toller Hecht ich bin!“ Eigentlich wollten sie die Wunder seines Leibes nicht sehen, oder auch von anderen keine ausführlichen Berichte über deren Sexualleben hören, sagten die Kollegen, aber sie hätten Angst vor Konflikt, Streit und übler Nachrede, wenn sie auf diesen „optischen Übergriff“ ablehnend reagieren würden.

Im Endeffekt geht es immer ums Austesten von Grenzen: Wieviel lässt sich die andere Person gefallen? Was, bzw. wieviel kann man ihr noch „reindrücken“?

Ich selbst wurde als frisch verheiratete Volkwirtschaftlerin in der Oesterreichischen Nationalbank 1968 vom damaligen Personalchef – einem SP-Bezirksrat der Donaustadt – in eine peinliche Situation gebracht, indem er mich zu sich rufen ließ und mir ungeahnte Karrieremöglichkeiten in Aussicht stellte – allerdings müsste ich ihn auf Dienstreisen begleiten und ihm die einsamen Abende verschönern. Ich war total perplex, hilflos und ohne Idee und Mut. Dennoch hatte ich gewagt, mich damals ans Zentralsekretariat der Gewerkschaft der Privatangestellten zu wenden – und die haben den „Frauenförderer“ fraktionsintern eingebremst. Erst in den 1980er Jahren, bereits in Sozial- und Psychotherapie ausgebildet, war mir klar, dass es nichts hilft, Männer, die sich an Mitarbeiterinnen bedienen wollen, vor „Blaming“ zu „schonen“. Deshalb sage und schreibe ich seit damals immer wieder (beispielsweise in meinem Buch „Gewaltprävention im Alltag“): Gegen Gewalt hilft nur Öffentlichkeit.

Bei dem zitierten Chefredakteur kommt aber noch „firmenschädigendes Verhalten“ dazu: Er sollte die Anliegen – die „Firmenphilosophie“ der Bundesregierung kennen und vertreten – und nicht unterwandern oder ab absurdum führen. Bei Red Bull würde ja auch nicht toleriert werden, wenn ein Hauptabteilungsleiter immer Frucade kredenzen würde …