Heftig medial beworben, ist gestern die erste Ausgabe der angekündigten Sendereihe „Im Namen des Volkes“ über die Bühne gegangen, und wie zu erwarten, hat sich wieder einmal gezeigt, dass kulturelle Toleranz keine Nationaleingeschaft der ÖsterreicherInnen darstellt (www.puls4com/Im-Namen-des-Volkes). Charles Darwin würde wohl von mangelnder „fitness“ (Anpassungsfähigkeit)  und damit Voraussetzung für „survival“ (Überleben) in einer globalen Wirtschaftswelt gesprochen haben, in der Respekt vor dem Anderssein die Grundlage funktionierender Kooperation bildet. Ergänzung: Die Schwierigkeiten (z.B. Gewalttätigkeiten), die es derzeit im alltäglichen Zusammenleben mit Menschen anderer ethnischer Herkunft gibt, basieren leicht nachweisbar gerade auf verweigerter Wertschätzung.

Was ich allerdings nicht erwartet hatte, war, dass die heuer 71jährige Ex-Richterin Irmgard Griss nur als Sprechpuppe auftritt. Ich hätte erwartet, dass sie nicht nur „Wort erteilt“, sondern dass sie auch Wort entzieht – wenn etwa unbewiesene Behauptungen aufgestellt werden (irgendwelche „Erfahrungen“ vom Hörensagen) oder gar Tatsachen umgedreht werden – wie der leidlich ausgeschlachtete Van-der-Bellen-Sager zur Kopftuch-Solidarität. Ich habe diese Passage seines Sinnierens im Fernsehen gesehen und genau registriert, wie er dabei verhalten ironisch geschmunzelt hat – aber dieser flüchtige Ansatz zu einer Paradoxie mag manche intellektuell überfordert haben, deswegen war er ja so problematisch (und dazu sei angemerkt, dass diese übergenaue Beobachtungsgabe zu meiner Berufskompetenz als Tiefenpsychologin zählt und auf jahrzehntelanger Übung beruht, also nicht von jedem Menschen erwartet werden kann).

Dazu kommt noch ihr Appell zu Beginn der „Verhandlung“ – es wurde ja nichts ausgehandelt, sondern Mehrheit setzte sich ohne Begründung über Minderheit hinweg – es möchten die im Studio stumm anwesenden „Pseudo-Geschwornen“ wie an den Bildschirmen zu Hause möglichst vorurteilfrei entscheiden. Das geht aber gar nicht! Welche Ignoranz des menschlichen Seelenlebens!

Wir alle haben Vorurteile, „Vor-Urteile“ – und das ist auch gut so, denn sie fördern Misstrauen und helfen, nicht blind in „Fallen“ zu tappen (zB die von Suggestivformulierungen, die übrigens oft unbewusst aus Gewohnheit nachgeredet werden. Die oftmalige Wiederholung des Wortes „Leidenschaft“ durch Irmgard Griss wäre auch darunter einzuordnen – es sollte offenbar Emotion gefördert, d. h. umgekehrt Vernunft gemindert werden!).

Wenn man Vorurteile los werden will, muss man sie sich bewusst machen, ihren Inhalt überprüfen und sich gegebenenfalls von der schnellen Einschätzung trennen. Das hätte die „Fernsehrichterin“ betonen müssen – es wäre ein Beitrag zum mentalen Gewaltverzicht gewesen. Nun ist Griss eben nur Juristin und keine Psychologin. Aber vielleicht wären solche Informationen eine Sendungs-Anreicherung für den Moderator Mohr? Oder für einen nachfolgenden Kommentar über das taktische Verhalten der ungleichen KontrahentInnen (auf der einen Seite eine politkampfgeschulte Frauenrechtlerin, ihr gegenüber eine Philosophin in einer Erscheinung, wie ich mir eine Prinzessin aus einem orientalischen Märchen vorstellen könnte, in ruhiger Bedächtigkeit und damit keine Identifikationsfigur für die Wut-Bürgerschaft) wie bei anderen Sendern und (Polit)Sendungen üblich – dann würde nämlich die Zuseherschaft aufgeklärter und nicht Opfer oder Täter mentaler Gewalt.