Kaum jemand außer den „Eingeweihten“ erkennt, dass und wie Beschuldigte – besonders wenn sie durch ihr Fehlverhalten ihren Arbeitsplatz gefährdet oder verloren haben – versuchen, mittels  Litigation-PR eine „alternative Wahrheit“ zu installieren.

Litigation-PR oder „strategische Rechtskommunikation“ ist eine besondere Dienstleistung von spezialisierten Anwälten, die dazu dient, Medienvertreter schon lange vor Prozessbeginn mit den Sichtweisen im Sinne der Verteidigungslinie des Mandanten zu „füttern“. Man könnte auch formulieren: Mittels dieser Vorgehensweise soll vor allem das Unbewusste der Richterschaft in Richtung wohlwollende Parteilichkeit für die kritisierte Person beeinflusst werden, denn es ist damit zu rechnen, dass die medial „veröffentlichte Meinung“ subliminal – unterschwellig – als quasi Tatsachenbericht im Gedächtnis abgespeichert wird. Diese Methode ist umso erfolgreicher, je mehr sie durch semantisches Priming emotional verstärkt wird.

Priming besteht darin, dass mittels eines ersten (prime) Auslösereizes – das kann ein Ton (insbesondere ein Wort), ein Geruch oder eben ein geistiges Bild sein – die Stimmung und das daraus erwachsende Verhalten beeinflusst (manipuliert) wird.  Wenn also der Anwalt des gekündigten Chefredakteurs in einer Presseaussendung (!) verkündet „Eine sexuelle Belästigung im rechtlichen Sinn hat mein Mandant nicht zu verantworten“ (wien.orf.at/news/stories/2874250/) und vor Medienjustiz und Vorverurteilung warnt, stellt das nicht nur eine Art Werbung für Männersolidarität – zumindest unter Journalisten – dar, sondern eine subtile Attacke auf das ethische Verhalten von uns allen.

Überall, wo das Wort „sexuell“ auftaucht, kann bei „erfahrenen“ Personen (also Erwachsenen, Kinder verfügen üblicherweise noch nicht über die biografische Verknüpfung von Wort – Bezeichnung – und Erlebnis) mit emotionalen Spontanreaktionen gerechnet werden – und die werden je nach Sympathie oder Antipathie angenehm oder abwehrend ausfallen. Die Formulierung „sexuelle Belästigung“ löst bei betroffenen Frauen meist quasi emetische (das Wort bedeutet: Brechreiz auslösend) Flash Backs (Erinnerungsüberflutungen und damit Stresshormonausschüttungen) und „Freezing“ (Erstarrung) aus. Bei Frauen hingegen, die noch nie mit dieser Form von Gewalt konfrontiert waren (und Männern sowieso, außer sie können sich einfühlen), folgen Zweifel und Ungläubigkeit. Sie können sich solche Geschehensabläufe erst dann geistig vorstellen, wenn sie ein Vor-Bild, beispielweise durch eine realistische Filmszene, besitzen. Aber auch solch etwas kann unter Priming eingeordnet werden.

Männer ohne reflektierte (also nicht mental abgewehrte) eigene Negativerfahrungen fühlen sich bei dem Thema sexueller Belästigung – oder besser Belastung – oft solidarisch „mit angeklagt“ und wehren sich im gewohnten Kampfmodus. Der amerikanische Sicherheitsexperte Gavin de Becker berichtet dazu (in seinem Buch „Mut zur Angst“/Fischer 2001 bzw. „Vertraue deiner Angst“/mvgVerlag 2016 , Original „The Gift of Fear“), wie sich die meisten Männer bei seinen Vorträgen über Stalking über „die Anderen“ empören, aber eigenes Verhalten nicht überprüfen. Er frage dann, wer von ihnen noch nie gegen den Willen der betroffenen Frau versucht habe, deren Namen oder Adresse herauszufinden bzw. Begegnungen zu erzwingen.

Heute, wo die Benimmregeln, die in der Generation der in den 1940er und 1950er Jahren Geborenen noch klar festlegten, unter welchen Rahmenbedingungen Kontakte hergestellt werden dürfen und sollen, längst in Vergessenheit geraten sind und stattdessen Negativbeispiele aus Film und Fernsehen den Respekt vor individuellen Grenzen weitgehend zerstört haben, glauben sogar sogenannte Führungskräfte (und damit intellektuelle Meinungsbilder) wie der mehrmalige New Yorker Bürgermeisterkandidat Anthony Weiner, ein Unterleibsfoto per SMS genüge zur Herstellung gelungener Intimkommunikation. Wer über so viel Plumpheit lacht, unterstützt dieses Verhalten (auch wenn es nur Verlegenheitslachen sein sollte).

Ich frage dann: Würden Sie auch noch lachen, wenn das ihrer Tochter passieren würde?