Er habe aus Wut gehandelt, sagte der 16jährige, dem der brutale Mord an dem 7jährigen Nachbarsmädchen zur Last gelegt wird.

Unabhängig von seinen medial verbreiteten angeblichen Phantasien, eine Mitschülerin erwürgen zu wollen „weil sie so klein ist“ oder seinen jüngeren Bruder zu töten, was ich in meinem nächsten „Brief gegen Gewalt“ thematisieren werde, möchte ich meine Erfahrungen aus über 40 Jahren psycho- und sozialtherapeutischer Arbeit kund tun: Wir sprechen dabei von der „oralen“ „ungerichteten“ Wut des Säuglings (in den 18 Lebensmonaten ab Geburt) gegenüber dem „analen“ „zielgerichteten“ Zorn in den nächsten Lebensjahren, wenn die Muskulatur dazu stark genug geworden ist. Gerät jemand später in Rage, so fällt er oder sie seelisch in den sprachlosen Säuglingszustand zurück – daher müsste die Selbst- oder Fremdaufmerksamkeit genau auf diesen Sprach- (und Denk)verlust gerichtet werden.

Da ich in den letzten Tagen zwei einstündige Interviews zu dem Drama im Döblinger Gemeindebau gegeben habe, hatte ich im Vorfeld einige Männer um ein „erklärendes“ Gespräch gebeten, von denen ich wusste, dass sie hart an sich gearbeitet hatten, um nicht wieder straffällig zu werden. Unabhängig voneinander sagten sie mir: Es gäbe eine Art von Wut, die so groß sei, dass man unbedingt etwas zerstören müsse – Möbel, Parkbänke, Telefonhüttchen (die es ja kaum mehr gibt!), Glasscheiben und -türen … Haustiere … und wenn einem da jemand zum Opfer geeigneter in die Quere käme, könne es auch ein Mensch sein. Zartes Alter schütze da nicht – ganz im Gegenteil: Man werde noch wütender, wenn man erlebt, wie „naiv“, heil“ jemand anderer ist.

In der bioenergetischen Therapie lasse man Menschen mit Schlagwerkzeugen in Polster und Matratzen prügeln, um diese Negativenergie los zu werden, wandte ich ein. Das helfe nicht bei dieser „Mordswut“, sagten meine Gesprächspartner, dazu sei diese zu groß und die nötige Zeit zu kurz und außerdem wäre das „Publikum“ Therapeut oder Gruppe zu klein. Wenn man in diese Raserei gerate, müsse die ganze Welt in Entsetzen vergehen, damit man sich erleichtert fühle.

Was helfen könnte?, fragte ich. Squash vielleicht? Wurde ja im Gefängnis erfunden … Die echten Experten sind ja immer vor allem die Betroffenen.

Nein, es müsse ja etwas zerstört werden, bei Squash würde ja nichts zerstört. Mit einem Vorschlaghammer Autoleichen zertrümmern, das könnte helfen – und das müsse einen Höllenlärm machen, das könnte vielleicht Abhilfe schaffen.

Ein anderer sagte: Holz hacken. Aber gleich 100 Quadratmeter – oder mehr.

Und noch einer schwärmte von Duellen und Gladiatorenkämpfen, räumte aber ein, dass man da Spielregeln brauche und Schiedsrichter, daher müsste das schon im frühzeitig Vorfeld verwirklicht werden bevor die Wut mörderisch werde.

Also doch lieber Gewaltprävention: Die eigene Wut schon im Entstehen wahrnehmen und „bearbeiten“. Und nicht verdammen oder verblödeln (wie im Film von der „Wutprobe“) sondern ernst nehmen als eine Kraft, die in Worten geäußert helfen könnte, die auslösenden Ursachen (Zwang, Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Versagen, Abgelehntwerden etc.) auf soziale Weise zu verändern.