Halt! Gewalt!

Es wären vor allem die Älteren in ländlichen Umgebungen Englands gewesen, die für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt hätten, meldeten die Zeitungen nach dem „Sieg“ der EU-Gegner nach der Volksabstimmung. Junge, Städtische und Gebildete hingegen hätten für den Verbleib gevoted.

Das wundert mich nicht: Es ist ein Unterschied, ob man im Austausch mit anderen Gleichaltrigen aus ganz Europa und darüber hinaus aufgewachsen ist – oder mit den traditionellen Feindbildern des 20. Jahrhunderts, die durchgängig von Nationalismus geprägt waren.

Nationalismus betrachtet die WIR als überlegen und die ANDEREN als all das, was man bei sich selbst nicht wahrnehmen will.

Und aus diesem Überlegenheitswahn heraus ist man überzeugt, alles allein zu schaffen und andere nicht zu brauchen (höchstens zu gebrauchen).

Ähnliche Phänomene sehen wir ja auch in unserem Land – an manchen Stammtischen, in manchen Demonstrationsparolen, in manchen Politreden: Es wird zwar die Historie des Deutschnationalismus erforscht, die Ideologie und Propaganda des Nationalsozialismus und es werden Wege der Wiedergutmachung für die Opfer gesucht – auch für die Opfer der Härteideologie in den Erziehungsheimen der 1950er und Folgejahre – aber es wird denjenigen, die ihre damals so begeisterten Eltern und Großeltern verteidigen, keine andere Stellungnahme vermittelt als die von Reue und Buße.

Es bleibt damit bei der Polarisierung von Guten und Bösen – und die ist das Grundproblem unserer Welt.

Wir laufen alle immer Gefahr, schnelle, einfache Erklärungen zu bevorzugen statt nachzudenken, wer welches Interesse daran hat, dass wir nicht nachdenken.

Das führt zu intellektueller Kurzsichtigkeit: Wir erleben derzeit eine neue Völkerwanderung und auf die müssen wir uns langfristig einstellen. Das heißt auch: mehr über Mentalität und Kultur der Anderen erfahren, lernen, respektieren. Das gehört in die schulischen Lehrpläne, das gehört aber auch, pädagogisch-psychologisch aufbereitet, in die Massenmedien. Ich habe dazu schon in den 1990er Jahren Konzepte entwickelt. Denn nur Berichte, Dokumentationen und historische Schinken zu liefern, ist zu wenig.

Als Psychoanalytikerin und Mediatorin bin ich gewohnt, einen allparteilichen Blickwinkel zu pflegen – daher auch den Überheblichen die Angst vor Unterlegensein minimieren zu helfen; als Pädagogin wie auch evangelische Pfarrerin weiß ich, dass praktizierte Nächstenliebe bedeutet, die eigene Abwehr und Widerwilligkeit zu erkennen und zu transformieren: Bruder und Schwester im Anderen zu erkennen und die eigene Überheblichkeit, sich für so supergut zu halten, dass man autark überleben kann, zu überwinden.