Halt! Gewalt!

Als DDr. Viktor Pickl (1927–2001) überraschend starb, wurde er als erster Wiener Patientenanwalt gewürdigt. Kaum jemand erinnerte sich daran, dass er zu den engsten Mitarbeitern des Reformjustizministers Dr. Christian Broda (1916–1987) gehört hatte, und dass er, wie er mir einmal erzählte, auch promovierter Pädagoge war. Ich hatte ihn nämlich danach gefragt, wie er seine Vorlesung „Kriminalpädagogik“ an der Pädagogischen Akademie anlege – denn ich hätte als diplomierte psychoanalytische Sozialtherapeutin das gerne selbst unterrichtet.

Pickl vertrat die Ansicht, dass Strafen nur dann Sinn hätten, wenn sie möglichst sofort und in einem logischen Sinnzusammenhang – also quasi als sinnvolle Konsequenz – angewendet würden. Dazu müsse eine logische Gedankenkette von der Fehlhandlung zur Wiedergutmachung erkennbar sein. Daran musste ich denken, als ich den Medien entnahm, dass Innenminister Sobotka daran denke, kleinere Delikte in das Verwaltungsstrafrecht hinüber zu führen.

Der Vorschlag ist pädagogisch sinnvoll – jedenfalls sinnvoller als die übliche „Anzeige auf freiem Fuß“. Die führt doch nur dazu, dass das Unrechtsbewusstsein der Betretung im Augenblick durch den langen Zeitlauf bis zur Verhandlung verloren geht, stattdessen aber viel Zeit zur Entwicklung von Schutzbehauptungen und Verteidigungsstrategien zur Verfügung steht: Man ist nicht mehr der wie im Augenblick des Delikts, sondern lebt möglicherweise lange als „ganz normaler Durchschnittsbürger“ (was auch immer dieser sei).

Wenn man davon ausgeht, dass „Gelegenheit Diebe macht“ und die emotionale Motivation dazu nicht im vernünftigen Abwägen der Folgen steht sondern eher in einem kurzfristigen Triebdurchbruch auf Stammhirnniveau (d. h. „ich will das und ich nehm‘s mir“), zeigt sich eine Analogie, wie man beispielsweise anderen Stammhirndenkern, z. B. Hunden, Unarten abgewöhnt: mit einer sofortigen Konsequenz – denn sie merken sich sonst nichts. Mit Sanftheit oder gutem Zureden lernt kein Stammhirndenker, sein Großhirn zu benutzen – man muss ernsthaft und wertschätzend sofortige Konsequenzen ziehen – z. B. Konfiskation, Geldbußen, wie sie ja auch im Steuerstrafrecht üblich sind – ein „großes“ Strafverfahren kann man nachher immer noch betreiben, wenn es notwendig erscheint.

In den USA sind „Schnellrichter“ üblich und erfolgreich. Insofern verwundert es, dass Vorarlberger Richter sofort auf Sobotkas Vorschlag protestierten, Kostenersparnis dürfe kein Grund sein, denn auch ein Strafverfahren bei Gericht dauere nicht länger als ein Verwaltungsstrafverfahren, und außerdem würden hier nicht so viele alternative Urteilsvariationen wie Diversion, gemeinnützige Arbeit, Fußfessel etc. und auch keine Dolmetscher, wenn es um nichtdeutschsprachige Delinquenten ginge, zur Verfügung stehen.

Im NLP gibt es einen Grundsatz, der lautet:

Statt deine Energie darauf zu verschwenden, herauszufinden, weshalb etwas nicht gehen kann, setze sie dafür ein, herauszufinden, wie es gehen könnte.

Analog könnte man formulieren: Statt an alten Regeln zu hängen, die nicht erfolgreich sind, sollte man sich von diesen lösen um neue zu probieren, ob diese vielleicht erfolgreicher wären. Oder wieder anders herum: Statt langzeitig nur strafprozessual zu denken, wäre es vielleicht erfolgreicher, pädagogisch zu denken …

Viktor Pickl geht mir ab.