Halt! Gewalt!

Ein Hinterbliebener von Opfern des Germanwings-Flugzeug-Absturzes März 2015 in den Ardennen habe gegen die Eltern und Freundin sowie Hausärztin des suizidalen Piloten Strafanzeige getätigt, weil sie trotz Kenntnis der vielen Besuche bei Psychiatern nichts gegen dessen Fluguntauglichkeit unternommen hätten.

Aber was hätten sie realistischerweise tun können? Gütlich einreden? Das hätte erfahrungsgemäß Widerstand und Abschottung ausgelöst, um die fragile Selbstachtung zu bewahren. Beim Arbeitgeber vernadern? Oder bei der Polizei? Das kann doch nicht wirklich in Erwägung gezogen werden – auch wenn manchen Leute nichts Besseres einfällt! Was wir nämlich nicht wissen ist, ob all dies nicht ohnedies angedroht wurde und Auslöser für die Verzweiflungstat war, die Maschine samt 149 Passagieren in den Crash zu steuern … wir wissen ja nur die Fakten, nicht die Motive. Zu denen spekulieren wir … auch wenn wir möglicherweise ganz richtig „phantasieren“.

Was jedoch ist das Motiv des konkreten Hinterbliebenen, nach Strafe für Eltern, Freundin, Hausärztin zu verlangen – mehr als ein Jahr nach dem Unglück?

Schockierende Erlebnisse werden in Phasen bewältigt – und diese Phasen dauern individuell unterschiedlich lang.

Zuerst ist man wie gelähmt, kann das Geschehene nicht fassen. Dann folgt die Phase des „Nicht-Wahrhaben-Wollens“ – man hofft und sucht nach Informationen, dass das Schreckliche nur ein Irrtum gewesen sein könnte, eine Falschmeldung – oder dass ein quasi Wunder doch Überleben ermöglicht hätte. Dann kommt der Absturz in Depression – man will nur mehr Ruhe haben, glaubt, ein Mehr an Konfrontation mit den Tatsachen nicht mehr ertragen zu können, oder zieht sich zurück, weil einfach die nötige Kraft fehlt, um das Unumgängliche hinzunehmen … und dann kommt diese Kraft wieder und in dieser Phase sucht man nach Schuldigen, man hat ja die vorher geschrumpfte Aggressivität wieder; deswegen nenne ich diese Phase die „Rachephase“. Sie gehört zum Heilungsprozess – denn nach dieser Rückkehr in den „alten“ Energiezustand kann man erst in Ruhe „austrauern“ – und das wäre auch die angemessene Form Leid zu bewältigen.

Denn: Rachebedürfnisse auszuagieren hilft nicht, Leiden zu vermeiden. Es entlastet nur kurzfristig vom Druck der im Inneren brodelnden Kampfkraft, die aus dem Seelenanteil „Ich will das alles nicht!“ erwachsen ist – aber Geschehen ist geschehen, Vergangenes lässt sich nur im psychischen Erleben verändern und das braucht Zeit – und Menschen, die beistehen und mittrauern. Das müssen nicht unbedingt Professionals wie Pfarrer_innen oder Psychotherapeut_innen sein, aber Angehörige von „Kampfberufen“ wie  Rechtsanwälte sind es fast nie, dieser Beruf hat andere, nämlich materielle, Ziele und nicht immaterielle wie die seelische Gesundung.