Rotraud A. Perner

 

Ursprünglich erschienen unter dem Titel
„Das gefährliche Spiel mit dem Joker-Effekt“ 
in: Die Furche | 10-11-2016

 

Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sagt der Volksmund, sonst ist er da. Heute ist oft die Filmleinwand die Nachfolgerin dieser Malfläche, und man sieht auf ihr nicht nur das Aussehen sondern auch das Verhalten – und das kann zur Nachahmung inspirieren.

Im ersten Batman-Film in den 1960er Jahren mit Cesar Romero war der Joker, ein ehemaliger Hypnotiseur, ein harmloser Spaßmacher mit schrillem Lachen. Ab Ende der 1980er Jahre zeigt der Joker in den Batman-Filmen (und Comics samt Replikas und Merchandising) unterschiedlichen aber immer unheimlichen Charakter: als Gangster (Jack Nicholson), Anarchist (Heath Ledger) oder Psychopath (Jared Leto).

Unheimlich ist das Gegenteil von heimelig, was frei von bösen Geistern bedeutet, wie schon Sigmund Freud aufzeigte. Der unberechenbare Joker löst Angst aus (oder aber seltener Zorn), und genau diese Bedrohlichkeit ist ein attraktives Vorbild vor allem für unreflektierte frustrierte Jugendliche und andere Machtlose, die ihrer erlebten Unwichtigkeit entkommen wollen. Der Joker hingegen ist sehr wohl reflektiert: Er kämpft gegen alle, die ihm im Wege stehen oder insgesamt gegen die Gesellschaft. Seine aktuellen Nachahmer hingegen scheinen nur die Macht der Einschüchterung genießen zu wollen; solche Übergriffe nachfolgend als Spaß zu verteidigen, hat Tradition, selbst wenn sich herausstellt, dass jemand nur im Schutz der Anonymität Rache nehmen wollte.

Angst machen heißt Hochstress auslösen, und das stellt eine oft lang andauernde Gesundheitsschädigung dar, quasi eine leichte Körperverletzung, und gehört wie diese mit Konsequenzen belegt. Das kann gezielte Absicht sein: Maskierungen sind dann Schutzmaßnahmen um nicht erkannt zu werden – denken wir nur an die Verbrechen des Ku Klux Klan mit seinen pseudoreligiösen Spitzhüten oder anderer terroristischer Vereinigungen, die ihr Gesicht unter symbolhaften Tüchern verstecken.

Das Gesicht zu zeigen besitzt Appellcharakter: Man sieht die Gefühle der anderen Person (sofern man nicht ganz verroht oder abgestumpft ist) und reagiert – irgendwie. Deswegen wird ja mancherorts Gefangenen oft der Kopf verhüllt und ihren Bewachern jegliche Kommunikation verboten. Denn wie Paul Watzlawick so treffend formulierte: Wir können nicht nicht kommunizieren. Umgekehrt gilt dies auch: Die Wahl einer Maskierung besagt, man will nicht als lebendiger Gleicher wahrgenommen werden. Und sie besagt gleichzeitigt, mit wem man sich identifiziert: Pumpgun Ronnie mit dem seinerzeitigen US-Präsidenten Ronald Reagan etwa. Im weißen Gesicht des Clowns mit dem blutrot umrahmten Mund hingegen zeigt sich die Blässe des Todes und das Fremdblutsaugen des Vampirs oder Werwolfs. Auch für den Joker ist das Leben nur ein Witz – und der Tod ist dessen Pointe.

Diese Pfeif-drauf-Ideologie finden wir heute bei vielen Menschen, vor allem Jugendlichen, die – noch – keine Erfahrungen mit Sinn stiftenden Beziehungen machen konnten. Solche erfordern wertschätzende Eltern, Lehrkräfte, Ausbildner, Vorgesetzte und Kollegen, die einen als Person wahrnehmen und fördern – nicht nur destruktiv kritisieren oder hämisch auslachen (wie es der Joker tut).

Üblicherweise suchen die so Abgewerteten die Anonymität in einer Gruppe oder Subkultur, in der sie sich stark wähnen und entsprechend agieren können ohne dass sie leicht als konkret Verantwortliche identifiziert zu werden – denken wir nur an Hooligans oder den „Schwarzen Block“. Einzelauftritte als Gruselclown sind neu – das Prinzip ist aber das Gleiche. Es findet sich auch im Vertrauen auf die vermeintliche Anonymität im Internet: Man rechnet nicht mit Enttarnung und schon gar nicht mit Negativkonsequenzen. Das erklärt auch das Selfie-Protzen auf Facebook oder Youtube.

Negativkonsequenzen sind aber notwendig. Und nicht nur für die Täter, sondern auch für die Bystander (das sind die Augen- oder Ohrenzeugen, die wegschauen und passiv bleiben). Die Gesellschaft muss deutlich machen, was sie nicht toleriert bzw. nur unter welchen Bedingungen. Damit sei darauf hingewiesen, dass auch Krampus- oder Perchtenläufe die Gefahr gewalttätiger Übergriffe in sich bergen und daher sozial kontrolliert gehören: Es muss festgehalten werden, wer hinter welcher Maske steckt, wenn er – oder sie – sich in die Öffentlichkeit begibt. Das gehört in den Zuständigkeitsbereich der Polizei. Vermummungsverbote haben in der heutigen „beziehungslosen Gesellschaft“ Sinn. Dort, wo jemand begründet nicht erkannt werden soll, wird man sich etwas Neues einfallen lassen müssen. Dazu sind vor allem all diejenigen aufgefordert, die sich jetzt über steigende Umsätze von Clownmasken freuen.

Aber auch wir alle sollten uns erinnern, dass jede und jeder für Sicherheit Verantwortung trägt und nicht alles wegdelegieren – das Strafen an Polizei und Gerichte, das Liebhaben an Sozialarbeiterschaft und Psychotherapeut_innen. Da wir aber an Vorbildern lernen und beim „Üben“ Bestätigung brauchen, damit wir Machtlust anders als durch Kleinmachen von Anderen genießen können, braucht es Empowerment schon von klein auf. Phrasen allein genügen nicht. Wir brauchen Selbstverteidigungsvorbereitungen – und dazu zählen auch die Kraft der Stimme und die Kraft des Wortes. Ich habe das schon 1987 auf der sogenannten Wiener Konferenz in meiner letzten Rede als Kommunalpolitikerin für den Unterricht in Leibeserziehung gefordert (und halte nach wie vor nichts von der Sinngebung „Bewegung und Sport“ – das greift viel zu kurz). In „Gotham City“ muss man damit rechnen, attackiert zu werden. Also gilt es auch, unsichere Orte zu meiden bzw. sicher zu machen – und wenn es beispielsweise nur durch blaues Licht in der Straßenbeleuchtung ist (wie japanische Versuche bewiesen haben) – oder verbesserte Einsehbarkeit und Vermeidung baulicher Hinterhalte.

Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Wohlstandsverlierer und Erziehungsgeschädigten niederschwellig und lustvoll informiert werden, dass und wie Bildung die Selbstachtung hebt. Wir müssen dem „No future“ ein „Schon future“ entgegen setzen.