Halt! Gewalt!

Heute wurde ich niedergeschlagen.

Nein – nicht auf der Straße vom „großen Unbekannten“, sondern von einem jungen ORF-Redakteur im Festsaal der Wirtschaftskammer Burgenland.

Was war geschehen?

Ich traf vereinbarungsgemäß um 16 h ein, um vor Lehrlingsausbildnern den Festvortrag „Schreckliche Jugend – der Kulturschock beim Anleiten und Lehren“ zu halten. Da ich – nunmehr im 73. Lebensjahr – durch das Tragen einer schweren Tasche vom Parkplatz zum Veranstaltungsort erschöpft war, wollte ich mich auf den nächsten freien Sessel neben dem Eingang setzen. Der daneben sitzende junge Mann erklärte den Sitz als besetzt. Ich sagte „Ich setz mich nur kurz hin“, denn ich wusste ja, dass wie immer ein Platz in der ersten Reihe für mich reserviert sein würde, stellte meine Tasche neben den Stuhl und versuchte mich zu setzen. Da sprang der junge Mann auf und stieß mich wortlos mit beiden Händen grob weg, und während ich taumelte, gab ich ihm reflexhaft eine Ohrfeige. (Wie mir das gelang, weiß ich nicht, ich bin ja nur 160 cm groß und der vermutlich Twen etwa 20 cm größer, aber ich bin in Selbstverteidigung trainiert, und wer das auch ist, weiß, wie gut die Konter-Reflexe sitzen! Und: Ich lasse mich von niemand körperlich angreifen, schon gar nicht von fremden Männern.)

Daraufhin schlug der junge Mann zu – eine brutale rechte Gerade auf mein linkes Jochbein.

Ich ging sofort zu Boden, meine Brille verrutschte nach rechts Richtung Schulter, überhaupt drehte es mich irgendwie nach rechts, so genau weiß ich das nicht, weil ich ein Blackout hatte, aber irgendwer dürfte mich aufgerichtet und wieder auf die Beine gestellt haben, ich war ja – wie man so sagt – tramhapert, zitterte am ganzen Körper und spürte nur: Ich stehe unter Schock.

Irgendwer stellte einen Sessel für mich bereit – weit weg von dem Schläger.

Irgendwer bot mir an, mir etwas zum Trinken zu holen – aber ich wollte nur Ruhe. Was sich so ringsum abgespielt hat, habe ich nicht mitbekommen, eine Art Nebelschleier hat mich optisch und akustisch geschützt.

Dann redete ein Mann auf mich ein: Ich solle doch die Polizei rufen. (Warum hat er das nicht getan? Ich stand ja unter Schock!)

Das wollte ich nicht – dazu bin ich zuviel Profi. Ich wollte die Veranstaltung nicht schmeißen. (Typische Fürsorglichkeit von Frauen! Vielleicht aber noch Folge des „Herausfallens aus der Zeit“.) Ich wollte mich beruhigen und meinen Vertrag erfüllen. Aber ich wollte den Namen des Schlägers wissen – doch offensichtlich scheuten sich die Veranstalter ihn zu fragen … jedenfalls sagte man mir nur, es wäre einer der beiden ORF-Redakteure, die von der Tagung berichten würden, und zwar der, der schreibt (während der andere filmt).

Ich frage mich: Ist das der „Bystander-Effekt“? Der besteht nämlich darin, dass in größeren Menschenmengen alle zusehen und warten, dass jemand anderer aktiv wird.

Ich habe – trotz zittriger Stimme – mein Referat gehalten. Aber ich haben den Vorfall gleich ins Thema eingebaut: Kulturschock nicht nur beim Anleiten und Lehren sondern auch in der alltäglichen Begegnung. Denn Kultur besteht in meiner Generation darin, dass man „sinnerfassend zuhört“ (ich hatte ja „kurz“ gesagt!) und „zuschaut“ und begreift, dass Menschen im Großelternalter nach Anstrengungen Erholungspausen brauchen und dass man das an ihrer Körperhaltung und Atmung erkennt. Und dass man den Mund sprechen lässt und nicht die Fäuste!

Nachher:

Der einfühlsame Arzt im Eisenstädter Spital hat mir angekündigt, ich müsse mich – abgesehen von den Prellungen und Abschürfungen im Gesicht – auf die ersten „Veilchen“ in meinem Leben einstellen. Danke für die Vorwarnung!

Großes Lob auch für den Polizisten, der meine Anzeige wegen Körperverletzung aufgenommen hat: Er hat mir nachträglich den Beistand vermittelt, der mir während der Misshandlung abgegangen ist.