Briefe gegen Gewalt

Halt! Gewalt!

Der 10. September ist der Weltsuizidpräventionstag – und ich bin schon neugierig, wie er sich in den Medien widerspiegeln wird. Vermutlich mit Hinweis auf Statistiken und Beratungseinrichtungen.

Aber reicht das?

Sterben ist ja heutzutage – in einer Zeit der Jugendvergötterung, Altersabwertung und Krankheitsverachtung – das Tabuthema, obwohl der Mangel an Pflegekräften und deren zunehmender Fortbildungsbedarf im Umgang mit Demenzerkrankungen eigentlich zur Wahrnehmung der Realität zwingen müsste … aber wer will schon an vermutlich kommende eigene Schwächen gemahnt werden? An Abhängigkeiten? Vor allem aber an Gefühle von Hilflosigkeit? Dann, wenn Leben unerträglich erscheint?

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Halt! Gewalt!

So beeindruckend die TV-Serie Die Macht der Kränkung vermitteln konnte, wieviel Leid Menschen anderen aus Bosheit, Rache oder einfach sozialer Inkompetenz zufügen können, so unzulänglich zeigte sich der Versuch einer zusätzlichen Aufarbeitung des dargestellten Phänomens in der nachfolgenden TV-Diskussion.

Das lag nicht an den teilnehmenden sogenannten ExpertInnen, egal ob sie aus der Antigewalt-Politik oder aus Psychoberufen stammten. Eine TV-Diskussion ist immer ein „Schau-Spiel“, und wie am Theater dominiert auch dort die „Regie“ und die wirkt eben anders als beispielsweise das Bemühen um Klärungen in einer Supervisions- oder gar Selbsterfahrungsgruppe.

So hat mich die Startfrage, mit welchen der AkteurInnen in der Serie man sich „identifiziert“ habe, gestört, um nicht zu sagen entsetzt. Identifikationen bewusst zu machen ist psychotherapeutische Arbeit und die braucht Zeit und bestimmte Rahmenbedingungen. Daher war ich sehr erfreut, als Alexander Haydn von der Wiener Männerberatung diese (absichtliche?) Fehlformulierung in Richtung, wer ihn emotional am meisten berührt habe, „reframte“. (Reframing ist eine psychotherapeutische Technik, einen anderen Blickwinkel oder eine andere „Umrahmung“ zu verdeutlichen und damit „Denk-Einschränkungen“ entgegenzuwirken.)

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Halt! Gewalt!

In den Salzburger Nachrichten vom 7. September, Seite 19, wird die Rechtfertigung des wegen Vergewaltigung einer 44jährigen, der er „Hilfe beim Übersiedeln“ angeboten hatte, rechtskräftig zu zwei Jahren Haft (vier Monate davon unbedingt mit Psychotherapie-Auflage) verurteilten 20jährigen mit „Ich hatte schon so lange keinen Sex mehr“ berichtet.

Bei der – leider durchaus üblichen – Formulierung „Sex gehabt“ fällt mir sofort Erich Fromms Klassiker „Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ aus 1976 ein: Haben-Menschen wollen besitzen und konsumieren, Sein-Menschen wollen sich selbst verwirklichen – und diesen Unterschied erkennt man auch an der jeweils verwendeten Sprache.

Fromm schreibt: „Eine gewisse Verschiebung des Akzents vom Sein zum Haben lässt sich sogar an der zunehmenden Verwendung von Hauptwörtern und der Abnahme von Tätigkeitswörtern in den westlichen Sprachen innerhalb der letzten Jahrhunderte feststellen.

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Halt! Gewalt!

Der 4. September sei der Tag der Currywurst, lese ich heute im Standard (Seite L 3), und auch, dass dieses das „inoffizielle Nationalgericht“ der Deutschen sei.

Nun plane ich seit 14. August zu „Currywurst“ einen Brief gegen Gewalt zu schreiben – als Beispiel für mentale Gewalt. An diesem Samstag fiel mir nämlich in der Karriere-Beilage vom Kurier unter „Zitiert“ auf Seite 4 folgender Text auf: „Currywurst mit Pommes ist ein Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion“. Das sagt der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder zur Ankündigung, dass die Kantine des VW-Stammwerks in Wolfsburg fleischfrei werden soll.“

Dass der gelernte Rechtsanwalt Gerhard Schröder (Jahrgang 1944) – nunmehr in fünfter (!) Ehe mit einer 26 Jahre jüngeren Südkoreanerin (die vorherige vierte, Jahrgang 1963, entstammte „nur“ der Tochtergeneration) verheiratet – wegen seiner „situationselastischen“ (© FPÖ_Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek) Werthaltungen stark kritisiert (s. Wikipedia, gelesen am 4. 9. 2021: Der kritischen Sicht auf Schröders Lobbyismus liegt die Auffassung zugrunde, dass Schröder teilweise im Sinne einer zwar legalen, aber mit seiner bisherigen politischen Aufgabe unvereinbaren und das Vertrauen in die Demokratie schädigenden Weise einseitige Geschäftsinteressen zum eigenen Vorteil verfolgt,[52][53] dass er seine politische Karriere als Drehtür benutzt hat und dabei seine politischen Prinzipien relativiert hat.[54][55][56] Auch während seiner politischen Zeit in Landes- und Bundespolitik war ihm häufig eine zu groß erscheinende Nähe zu Wirtschaftsführern vorgeworfen worden; er war als „Genosse der Bosse“ und „Autokanzler“ tituliert worden.[57] Ein fragwürdiger Vorrang der Wirtschaft vor politischen Zielen wurde in seiner Haltung gegenüber den Autokratien der Golfstaaten gesehen.[58][59]), und oft mit dem Etikett „Genosse der Bosse“ als offensichtliches Vorbild des österreichischen Altkanzlers Alfred Gusenbauer gesehen – sich plötzlich für nicht gerade gesundheitsfördernde Ernährung stark macht, verwundert doch einigermaßen. (Wäre er in einem Wahlkampf, wäre dieses Buhlen verständlich – aber vielleicht steckt dahinter eine subtile arabische Strategie, den Westen zu schädigen? Achtung – Scherz!)

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Halt! Gewalt!

Herbert Lackner hat eine beeindruckende Trilogie verfasst: „Die Flucht der Dichter und Denker – Wie Europas Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen“, „Als die Nacht sich senkte – Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen – am Vorabend von Faschismus und NS-Barbarei“ und „Rückkehr in die fremde Heimat – Die vertriebenen Dichter und Denker und die ernüchternde Nachkriegs-Wirklichkeit“, alle im Verlag Ueberreuter.

Jetzt habe ich nach dem mittleren Band endlich auch den ersten und dritten gelesen … und war erschüttert, wie Lackner das Desinteresse, um nicht zu sagen die Ressentiments dokumentiert, mit denen die Nachkriegs-Führungskräfte der SPÖ verhinderten, dass ihre geflüchteten Vorgänger, die eigentlichen Pioniere, wieder Funktionen in der Partei übernehmen „durften“.

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Halt! Gewalt!

Es gibt Eigenschaften von denen jedermensch glaubt sie zu besitzen bzw. in die Tat umzusetzen. Respekt etwa: Wenn man jemanden, der einen überheblich abkanzelt, mit „Bitte behandeln Sie mich respektvoll“ zu mehr Selbstreflexion auffordert, folgt meist empörter Widerspruch „Aber das tue ich doch!“ und beweist damit, wie gerechtfertigt die ursprüngliche Höflichkeitsbitte war (wobei ich persönlich meine, Freundlichkeit würde genügen – denn Höflichkeit gehörte zur Unterwerfungs-Etikette von Königshöfen und die haben wir ja zumindest bei uns nicht mehr – wie sich an den Hasspostings gegen die aktuelle Regierung zeigt).

Ein anderes – fast schon „Modewort“ – lautet Empathie. Im aktuellen Profil 35/21 auf Seite 47 wird es sogar als „Gleitmittel“ für Entschuldigungsnotwendigkeiten bezeichnet – eine tiefergehende Begründung dafür fehlt hingegen; dafür gibt es aber bunt zusammengestellte Zitate, die jedoch nur aufzeigen sollen, was manche PsychotherapeutInnen als Zusammenhang zwischen „fehlender Fähigkeit zur Fehlereinsicht“ und „Narzissmus“ als „Charaktersache“ verallgemeinern (Narzissmus – ein häufiger Vorwurf an Partnerpersonen, von denen deren KritikerInnen weniger Zuwendung erhalten als sie erwarten bzw. fordern – und öfters reziprok auf deren eigene „narzisstische Persönlichkeitsstörung“ hinweist). Zu Unrecht, meine ich, denn in der konkreten psychotherapeutischen Arbeit zeigen sich hinter den als „Charakter“ diagnostizierten Verhaltensweisen oft schwerere Traumatisierungen als – wiederum diagnostiziertes – elterliches Versagen in prägenden Situationen.

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Halt! Gewalt!

Da flattert mir soeben die online-Werbung für das morgige Profil 35/21 auf den Bildschirm und kündigt mit „Über die Kunst sich zu entschuldigen. Oder auch nicht.“ seine aktuelle Titelgeschichte mit Bildern von HC Strache, Kurt Waldheim, Johannes Paul II und Placido Domingo (die anderen kann ich auf Grund der Kleinheit des Fotos nicht erkennen) an.

Vermutlich soll mit der Berufung auf die Musen-Inspiration thematisiert werden, wie sensationell innovativ manche Entschuldigungen kreiert werden. Aber ist „corriger la nature“ schon genug schöpferische Leistung, um als Kunst zu gelten? Der deutsche Essayist Rupert Schützbach (* 1933) hat seiner Formulierung nicht Kunst, sondern Kultur vorangestellt  (Kultur: corriger la nature. (aphorismen.de)) … aber auf Verantwortung bezogen, wäre das Wort Unkultur wohl zutreffender.

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Halt! Gewalt!

Da schrieb doch ein Anonymus an Spencer Cox (* 1975), den Gouverneur von Utah, er möge doch seinen „obszönen“ Familiennamen ändern, denn viele seien angewidert, klinge er doch wie „cock“, einem Vulgärausdruck für Penis.

Ja geht’s denn noch?

Das erinnert mich an den Spruch, der Bleistift wäre schuld an den Rechtschreibfehlern … und an den Witz, in dem der Psychiater einem Klienten Testblätter mit geometrischen Symbolen vorlegt – gerade Linie, Kreis, Raute … und nach Assoziationen (d. s. Gedankenverbindungen) fragt, und der Klient antwortet „Penis“, „Vagina“, „Vagina“ … und der Psychiater fragt, „Haben Sie beim Anblick immer nur sexuelle Fantasien?“ und der Klient antwortet empört „Was kann ich dafür, wenn Sie mir dauernd solche Schweinerein vorlegen!“

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Halt! Gewalt!

Zuerst eine Selbstoffenbarung: Ich halte schon viel davon, zurückzublicken. Erstens um Irrtümer oder Fehler zu erkennen und in Zukunft zu vermeiden; zweitens um sich an schöne Augenblicke zu erinnern, die gute Gefühle machen (weil sie ja die damals erworbenen Gedächtnisspuren wieder aktivieren); und drittens, um nicht zu vergessen, woher man gekommen ist und wie und was man daraus gemacht hat.

Was ich aber so gar nicht für gut halte, ist in der Vergangenheit zu wühlen – vor allem in der anderer Menschen, wie es augenblicklich scheinbar Mode geworden ist, oder? Waren es in den 1990er Jahren die sogenannten Reinkarnationstherapien (die natürlich keine Psychotherapie darstellen sondern nur ein Deutungsmuster psychischer Inhalte), in denen manche unglückliche Menschen Erklärungen für ihr schwieriges Leben suchten, so boomt derzeit die sogenannte Ahnenforschung (nicht die wissenschaftliche im Sinne von Wirklichkeit 1. Ordnung – der Summe aller Tatsachen, die sich objektiv feststellen lassen, sondern die hobbymäßig-private der Wirklichkeit 2. Ordnung, in der subjektiv Bedeutung und Sinn zugeschrieben wird, wie ich das auch in meinem letzten Buch „Von Recht und Seele“, Paul WATZLAWICK folgend – „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“, Piper  1976 – ausgeführt habe).

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Halt! Gewalt!

In einer Zeit, in der aus political correctness viele traditionelle Bezeichnungen obsolet geworden sind, wäre vielleicht auch die Berufsbezeichnung „SchauspielerIn“ zu verbessern – z. B. auf Mime/Mimin oder neudeutsch Actor/Actress – zeigen doch die mehr als entbehrlichen Kommentare über das Äußere der heurigen Salzburger „Buhlschaft“ Verena Altenberger („Sexismus wegen Kurzhaarfrisur“, Der Standard, 31.07. / 01.08. 2021, S. 33; „Im echten Leben nur Zuspruch“, Der Standard, 02.08., S. 18), dass manche Männer nur zuschauen, aber nicht mitfühlen und mitdenken können … oder wollen. Erinnert ein bisschen an die Balkon Muppets – wer nicht (mehr) mitspielt, nörgelt von oben herab.

In den 1950er Jahren gierten zumindest die Amerikaner nach vollbusigen Frauen und sehnten sich damit unterschwellig nach ammengleichen Mutterfiguren, in deren paradiesisch weichem Fleisch sie gerne versinken wollten. Kein Wunder bei den in den USA damals mächtigen Frauenorganisationen, deren unerbittlich moralische Boykottaufrufe so manche Karriere zerstörten. Ich erinnere mich an einen Klienten dieser Generation, der sich einer immer schon erträumten vollbusigen Alternative wegen von seiner Ehefrau scheiden ließ, und als er darauf kam, dass diese Äußerlichkeit für seelische Harmonie doch etwas zu wenig sei, zu seiner ersten Frau zurückkehren wollte – aber die nahm die „Retoursendung“ nicht an.

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